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FOCUS online: Frau Messari-Becker, die Regierung wollte im vergangenen Jahr 400.000 neue Wohnungen bauen – und hat das Ziel klar verfehlt. Noch schlimmer: Es macht sich eine gewisse Ratlosigkeit breit, wie die Probleme in den Griff zu bekommen sind. Wie konnte es soweit kommen?

Lamia Messari-Becker:
Es liegt teils an zu langen Genehmigungszeiten, knappen Planungs- und Baukapazitäten. Und man darf die Verwerfungen durch den Krieg und die Energiekrise nicht unterschätzen. Parallel dazu waren der Förderstopp und die Explosion der Baupreise nicht hilfreich.

 

Nun wollen wir ja nicht irgendwie bauen, sondern nachhaltig. Wo sehen Sie da in Deutschland Defizite?

Messari-Becker:
Auf jeden Fall in den Bereichen Bestandsumbau, Kreislaufwirtschaft und im veralteten Baurecht.

Werden wir da konkret: Wo stehen wir hierzulande bei der Energiewende – auch angesichts der Möglichkeiten?

Messari-Becker:
Die Optionen wären da, wenn man nur wollte. Ich habe immer gesagt: Zu Wind und Photovoltaik müssen weitere erneuerbare Energiequellen kommen – Biomasse, Biogas, Geothermie und Abwärme. Wir brauchen eine echte Wärmewende. Dazu auch Speicherkapazitäten, wenn erneuerbare Energien nicht liefern können. Stattdessen glaubt man, dass man eine Industrienation nur mit Strom und dann auch nur aus Wind und PV und das auch ohne nennenswerte Speicherkapazitäten versorgen kann. Das ist Wunschdenken. Wir brauchen einen Plan, der die Ausstiege aus fossilen Energien mit den Einstiegen in erneuerbare Energien abstimmt. Es geht um die sichere, klimafreundliche und bezahlbare Energieversorgung einer Industrienation und eines Sozialstaates.

Kommen wir zum Thema Wohnen und Heizen: Sie machen sich für Quartiersansätze stark. Was steckt hinter dem Prinzip?

Messari-Becker:
Es geht darum, nicht immer nur einzelne Gebäude zu fördern, sondern dass ganze Straßenzüge saniert und erneuerbar versorgt werden, Stichwort serielles Sanieren oder Blockheizwerke. Im Quartier lassen sich Projekte kostengünstiger, umwelteffizienter und sozialgerechter realisieren, also zum Beispiel gemeinsam Sanieren, erneuerbare Energien gewinnen, nutzen und speichern, kluge Mobilitätskonzepte realisieren und so weiter.

 

Für diese Ideen und auch für einen Ressourcenausweis setze ich mich schon länger ein, und sie sind ja auch Teil des Koalitionsvertrages – sie müssen jetzt umgesetzt werden. Quartierslösungen sind Einzelgebäudebetrachtungen weit überlegen. Quartiere haben eine soziale Kraft. Menschen identifizieren sich mit ihren Quartieren und machen mit.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?

Messari-Becker:
Nehmen wir die Abwärme von Warmwasser: Die Technologie lohnt sich für ein Gebäude in der Regel nicht, deswegen verschwindet das warme Abwasser derzeit noch in der Kanalisation. Eine Verschwendung, für die wir alle zahlen. Stattdessen könnte man das im Zusammenschluss von mehreren Häusern gewinnbringend verwerten. Ab einer gewissen Zahl an Häusern lohnt sich das auch energetisch. Dadurch sinken die Kosten und die CO2-Emissionen. Noch ein Beispiel: Durch gemeinsame Energielösungen, zum Beispiel mit Erdwärme sparen wir Kosten und CO2. Geothermie ist grundlastfähig.

Nun gehören die Wohnungen in vielen Straßen unterschiedlichen Menschen. Soll man die im Zweifel zu Ihrem Glück zwingen?

Messari-Becker:
Auf keinen Fall. Man kann ja erstmal da anfangen, wo zum Beispiel die Gebäude in einem Quartier in kommunaler Hand sind dem sozialen Wohnungsbau gehören. Mein Vorschlag lautet, dass der Bund einmal nicht die Ziele vorgibt, sondern Klimaschutz ermöglicht. Das ist ein anderer Ansatz. Kommune und Quartiersakteure dürften ihre eigenen Ziele festlegen. Die Maßnahmen werden dort diskutiert, die Politik schreibt wenig vor, unterstützt aber. Lokale Akteure können das in der Regel viele besser.

In der öffentlichen Wahrnehmung scheint die Wärmepumpe derzeit das Allheilmittel für nachhaltiges Bauen und Wohnen zu sein. Was halten Sie von der Technologie?

Messari-Becker:
Sie kann ein wichtiger Baustein werden, aber kann es nicht alleine richten – das sahen bis vor kurzem auch führende Hersteller so. Aber bei der Wärmepumpe gibt es viele Vereinfachungen: Einige glauben, sie geht nirgendwo, andere, sie geht überall. Beides ist unseriös und falsch. Ich bin überzeugt, es gibt nicht die „eine“ Lösungen, die für alle Menschen gleich gut funktioniert. Unsere Gebäude sind schlicht zu unterschiedlich, auch die regionalen Gegebenheiten. Wir brauchen daher mehrere Optionen, damit jeder Mensch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.

Das heißt?

Messari-Becker:
Wer nicht in einen Neubau, sondern ein bestehendes Gebäude eine Wärmepumpe einbauen will, muss drei Dinge beachten: Erstens, ob das Gebäude hinreichend gedämmt ist. Und zweitens, wie hoch die Leistung der Wärmepumpe ist. Drittens woher die Wärmepumpe ihre Energie nimmt. Kommt die Wärme aus der Luft, aus dem Grundwasser oder der Erde? Bei letzterer hat sie stabile Temperaturen, die sind immer gleich, bei Luft sieht das je nach Außentemperatur unterschiedlich aus. Dann mutiert die Wärmepumpe an sehr kalten Tagen zu einer reinen Elektroheizung – und wird dann erstens teuer und falls der Strom aus fossilen Energien stammt, ist sie auch nicht nachhaltig.

Immerhin gibt es Unterstützung beim Strom vom Staat.

Messari-Becker:
Das können wir nicht lange durchhalten. Und es ist auch nicht zielführend teurere Lösungen vorzuschreiben und dann Förderung vorzusehen. Wichtig ist, dass Energie klimafreundlich und günstig wird – und wichtig, dass möglichst viele Menschen mitmachen können.

Warum? Man will die Menschen doch überzeugen, von Öl- und Gasheizungen wegzukommen.

Messari-Becker:
Es steht außer Frage, dass Heizen, zurzeit immer noch 80 Prozent fossil, ökologischer werden muss. Die Politik ist aber viel zu fixiert auf Strom und legt eine falsche Fährte, dass sich die gesamte Gesellschaft elektrifizieren soll. Wenn man die drei Energieformen betrachtet – Strom, Wärme und Treibstoffe – dann macht Strom derzeit 25 Prozent davon aus. Natürlich wird es Verschiebungen geben, und Strom wird mehr übernehmen.

Wenn wir durch Elektro-Wärmepumpen, Elektro-Autos und all die anderen Maßnahmen bald vielleicht die 4-fache Menge an Strom haben müssen, dann kann das nicht aufgehen. Auch die Industrie braucht ja immer mehr grünen Strom. Der Bedarf steigt sehr viel schneller als das Angebot. Und das Angebot wird künstlich verknappt, da wir nicht alle erneuerbare Energiequellen nutzen und vorwiegend auf Wind und PV setzen und keine Speicherkapazitäten haben.

Droht irgendwann eine Rationierung von grünem Strom, weil schlicht nicht genug da ist für all die, die ihn brauchen?

Messari-Becker:
Das wird zunehmend wahrscheinlicher. Die Vorhaben, dass Wärmepumpen und Elektroautos phasenweise Strom abgeschaltet wird, sind schon da. Ab 2025 werden Wärmepumpen nur dann gefördert, wenn sie an einen sog. Smart-Meter Gateway angeschlossen werden können, sprich ferngesteuert vom Stromnetz getrennt werden können. Und das alles ist weitgehend unnötig.

Wieso? Was ist die Alternative zum Strom?

Messari-Becker:
Es ist zerstörerisch, nicht viel stärker auf Quellen wie grundlastfähige Erdwärme zu setzen. Sie ist enorm vielfältig einsetzbar. Es braucht einen Hochlauf der Geothermie. Mir ist es ein Rätsel, warum Geothermie nicht genauso gefördert wird wie Windkraft und Photovoltaik. Entscheidend ist es auch mehrere Optionen vorzusehen. Für den einen wird es die Wärmepumpe sein, für die anderen Biomasse, oder kommunale Fernwärme, Solarthermie als Unterstützung, Geothermie, eventuell Brennstoffzellen  – und so weiter. Das wäre eine echte Wärmewende.

Was halten Sie von Wasserstoffheizungen?

Messari-Becker:
Es gibt sogenannte geschlossene Systeme, die im Sommer PV-Strom erzeugen, Wasserstoff herstellen, lagern und im Winter für die Heizung nutzen. Finde ich auch eine Option, die insbesondere die Netze nicht belastet.

Agieren wir eigentlich noch technologieoffen?

Messari-Becker:
Nein. Dabei ist das die Grundlage, Lösungen zu entwickeln. Ohne diese Offenheit gegenüber, hätten wir heute keine Photovoltaik-Technik, keine Windkraftanlagen, keine Wärmepumpe, keine Batterien, keine Elektrolyse-Anlagen. Diese Tugend, droht gerade verloren zu gehen. Wir entwickeln uns beim Thema Energie Richtung Verknappung und wollen alle Details planen und vorgeben. Das geht nicht gut.

Vielen Dank für das Gespräch.



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#Immobilien #bauen #Aachen