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Die Baubranche steht derzeit unter Druck: Durch stark gestiegene Materialpreise und höhere Zinsen ist Bauen in den vergangenen Monaten unattraktiver geworden. Gleichzeitig werden vor allem in Städten mehr Wohnungen gebraucht. Die Wohnungsnot ist akut. Tim-Oliver Müller ist Deutschlands oberster Baulobbyist. Im Interview mit FOCUS online spricht er über die Stimmung in der Branche und stellt klare Forderungen an die Politik.

FOCUS online: Herr Müller, zuletzt gab es von den deutschen Baustellen eher düstere Nachrichten. Wie ernst ist die Lage am Wohnungsbau?

Tim-Oliver Müller: Die toxische Mischung aus steigenden Zinsen, minimaler sowie unsicherer Neubauförderung und sinkenden verfügbaren Einkommen hat den Wohnungsneubau abgewürgt. Hinzu kommen stark gestiegene Material- und Baupreise. Im Jahr 2022 waren es mehr als 20 Prozent. Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht: Forschungsinstitute erwarten für 2023 weitere Preissteigerungen von sieben bis acht Prozent. Der Auftragseingang im Wohnungsbau ist dementsprechend ins Bodenlose gesunken. Binnen eines Jahres sind die Aufträge um mehr als 30 Prozent eingebrochen. Die Lage ist dramatisch.

 

Die Bundesregierung will jährlich 400.000 Wohnungen schaffen. Dass das für 2023 unrealistisch ist, haben bereits viele Experten vorhergesagt. Was prophezeien Sie für das laufende Jahr?

Müller: Die 400.000 Wohnungen waren schon zu Beginn der Legislaturperiode der Ampel-Regierung ein ambitioniertes Ziel. Doch damals gab es noch intakte Förderkulissen, die Bauzinsen waren niedrig. Mit den heutigen Rahmenbedingungen werden wir die 400.000 Wohnungen weder in diesem noch im nächsten Jahr erreichen. Auf absehbare Zeit ist es erstmal unrealistisch, dass in Deutschland trotz der hohen Nachfrage ausreichend gebaut wird. Viele größere Wohnungsunternehmen haben ihre Neubauprojekte vorerst komplett auf Eis gelegt. Und dazu zählen nicht nur private Vermieter wie die Vonovia, sondern auch öffentliche Wohnungsbaugesellschaften wie die LEG in Düsseldorf. Das Tragische an der Situation ist: Aktuell gibt es keine Signale, dass in absehbarer Zeit wieder mehr gebaut wird.

Wie viele Wohnungen sind in Ihren Augen angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen in diesem Jahr noch realisierbar?

Müller: Was die Bauunternehmen heute bauen, wurde vor ein bis zwei Jahren projektiert. Derzeit gibt es daher noch relativ hohe Auftragsbestände. Zudem dürften einige Nachzügler der KfW55-Förderung, die im vergangenen Januar ausgelaufen ist, die Bilanz beim Wohnungsbau noch etwas aufpolieren. Dennoch werden wir in diesem Jahr nicht mehr als 250.000 neue Wohnungen in Deutschland bauen. Es werden sogar eher weniger sein.

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Sie haben es bereits angesprochen: Nicht nur private Bauherren, sondern auch gewerbliche und öffentliche Auftraggeber stellen Bauprojekte zurück oder stornieren sie. Was werden die unmittelbaren Folgen sein?

Müller: Es gibt ein großes Problem, vor dem die Baubranche steht: Wir haben unsere Kapazitäten inzwischen auf 927.000 Beschäftigte hochgefahren. Die in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaute Kapazität am Bau ist für uns eine wertvolle Ressource. Die wollen wir auch in einer Krise nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, denn der Bau wird heute und in Zukunft mehr denn je gebraucht! Daher tun wir alles dafür, dass wir keinen Bauarbeiter nach Hause oder in Kurzarbeit schicken müssen. Ansonsten droht uns der „Gastro-Effekt“: Wer einmal geht, der ist weg. Der kommt, wenn man ihn wieder braucht, auch nicht zurück. Das haben die Pandemie-Lockdowns in der Gastronomie gezeigt. Und eine solche Abwanderung wäre wirklich dramatisch, denn die gesellschaftspolitischen Aufgaben der Branche sind enorm: Klima-, Mobilitäts- und Energiewende, zahlreiche Infrastrukturprojekte, bezahlbarer Wohnraum – all das muss ja umgesetzt werden. Dafür brauchen wir eher noch mehr Personal, das parat steht.

Droht der Baubranche jetzt die große Insolvenzwelle?

Müller: Unsere größeren und mittelständischen Unternehmen sind robust und solide aufgestellt. Wir sehen angesichts der hohen Auftragsbestände deshalb erstmal keine größeren Insolvenzen. Und dass das so bleibt, muss auch das wirtschaftspolitische Interesse der Bundesregierung sein. Vor allem, da nicht nur der Wohnungsbau, sondern auch der öffentliche und gewerbliche Hochbau Ermüdungserscheinungen zeigen. So kämpfen die Kommunen mit Investitionsschwächen, währenddessen viele Unternehmen gerade vor unsicheren wirtschaftlichen Zeiten stehen und Deutschland als Standort hinterfragen. Der Bund muss also jetzt konsequent handeln.

Was braucht es, um die Bauwirtschaft beziehungsweise speziell den Wohnungsbau in Deutschland wieder anzukurbeln?

Müller: Es wird nicht gebaut, weil es einfach keine Nachfrage nach Neubauwohnungen mit den entsprechenden Mietniveaus gibt, die Eigentümer oder Bauherren heute verlangen müssten, um die Kosten refinanzieren zu können. Wenn wir momentan mit den gestiegenen Materialkosten, gestiegenen Gebäudeanforderungen, Normen, technischen Standards und staatlichen Vorgaben bauen, landen wir bei 16 bis 20 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter. Dieses Niveau bräuchte es, um die Baukosten zu refinanzieren. Das kann sich die breite Masse nicht leisten.

Deswegen brauchen wir eine Förderung, mit der die Mitte der Gesellschaft – das sind die Handwerkerinnen und Handwerker, Lehrerinnen und Lehrer sowie Postbotinnen und Postboten – unterstützt wird. Wenn es die Ampel ernst mit dem bezahlbaren Wohnraum meint, muss sie ein entsprechendes Programm aufsetzen.

Wäre es angesichts des dringend benötigten Wohnraums eine gute Idee, staatliche Regelungen auszusetzen, die sich baukostentreibend auswirken? Es gibt Stimmen, die zum Beispiel fordern, die hohen Klimastandards für den Neubau zu überdenken.

Müller: Diese Forderungen gibt es. Aber in meinen Augen steht es keiner Branche zu, das Streichen von Klimazielen für ihrem Sektor zu fordern. Wir stehen vor einer gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Jeder muss seinen Teil beitragen. Das Einhalten von Klimazielen ist für diese und alle nachfolgenden Generationen wichtig.

Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass es auseinandergehende Ziele gibt: bezahlbaren Wohnraum auf der einen und Klimastandards auf der anderen Seite. Das heißt, wenn es den Willen gibt, das Klima zu schützen, muss die Politik ausreichend Mittel zur Finanzierung bereitstellen. Sie muss die Menschen – sowohl die aktuellen als auch die potenziellen zukünftigen Eigentümer und Eigentümerinnen – unterstützen und darf sie nicht mit den enormen Kosten alleine lassen. Ich weiß jedenfalls nicht, wie wir unseren Rentnerinnen und Rentnern erklären sollen, dass sie nochmal einen Kredit von 120.000 oder 130.000 Euro aufnehmen müssen, um eine umfangreiche Sanierung zu bezahlen.

Kritiker würden entgegnen, dass es nicht nur mehr staatliche Förderung braucht, sondern auch die Branche selbst aktiv werden muss – etwa mit Innovationen, die Bauen wieder preiswerter machen.

Müller: Ein Unternehmer oder Unternehmerin ist jeden Tag damit beschäftigt, die Prozesse besser zu machen. Aber wir müssen gerade am Bau darüber sprechen, wie wir Rahmenbedingungen schaffen, dass Innovationen auch möglich und umsetzbar sind. Die Bauwirtschaft ist die einzige Industrie in Deutschland, die so dermaßen durchreguliert ist. Andere Industrien würden dafür morgens gar nicht erst aufstehen. Das liegt schon allein daran, dass wir den Designprozess, also das Planen eines Projekts, grundsätzlich vom Bau trennen.

Zudem besteht im öffentlichen Bereich die Pflicht zur Fach- und Teilungsvergabe. Das bedeutet, der Bauprozess wird in verschiedene Aufträge aufgeteilt, die einzeln vergeben und dann von verschiedenen Unternehmen ausgeführt werden. Beim Neubau einer Schule kommen dabei schnell 180 Einzelaufträge zustande, da der Bauprozess in Rohbau, Fenster, Türen, Elektrik etc. gesplittet werden muss. Grundsätzlich ist das nicht schlimm und bei vielen Bauaufgaben macht es auch Sinn. Zumindest dann, wenn es genügend Kompetenz bei den Bauherren und eine intakte Bauverwaltung gibt. Doch dieser Prozess schränkt gerade im öffentlichen Bereich die Innovationsfähigkeit ein. Weil die Planung und Ausführung eben nicht Hand in Hand gehen und Bauunternehmen ihre Kompetenz nicht in die Planung einbringen können. Wir fordern daher mit der aktuellen Gesetzesinitiative, dem Vergabetransformationsgesetz, mehr Entscheidungsfreiheit für Auftraggeber. Sie sollten in der Praxis die Möglichkeit haben, entsprechend ihres Know-hows und der Komplexität des Bauwerks frei entscheiden zu können. Welche Vergabe macht Sinn: Teillos- oder Gesamtvergabe? Dafür setzen wir uns ein.



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#Immobilien #bauen #Aachen