Von den im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien vorgesehenen Maßnahmen profitieren am stärksten Familien und von Armut bedrohte Menschen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der „Süddeutschen Zeitung“. Demnach würden unter anderem die geplante Erhöhung des Mindestlohns und die Kindergrundsicherung dafür sorgen, dass mindestens 2,4 Millionen Menschen aus dem Armutsrisiko fallen würden. Dazu gehörten 1,4 Millionen Kinder.
„Haushalte mit einem Jahreseinkommen unter 20.000 Euro profitieren am stärksten von der Politik der Ampelkoalition“, sagt Dr. Sebastian Siegloch vom ZEW. Allein die geplante Erhöhung des Mindestlohns von aktuell 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde würde für diese Einkommensgruppe rund 700 Euro zusätzlich einbringen.
Tausende Euro mehr für Familien
Familien profitieren außerdem von den Ampel-Plänen der sogenannten „Kindergrundsicherung“. Die Koalition will bisher an Familien ausgezahlte Leistungen, etwa Kindergeld oder Zahlungen im Rahmen von Hartz IV, zu einer einzigen Leistung bündeln und die Summe gleichzeitig spürbar erhöhen. Das Ergebnis: Ein alleinerziehender Elternteil soll nach den ZEW-Berechnungen am Ende des Jahres insgesamt 2330 Euro mehr auf dem Konto haben, bei einem Paar mit Kindern beträgt das Plus sogar 3010 Euro. Singles oder kinderlose Paare hingegen können „nur“ mit 310 bzw. 690 Euro jährlich rechnen.
„Die ungleiche Einkommensverteilung wird durch die Mindestlohnerhöhung und die neue Kindergrundsicherung reduziert“, sagt Siegloch. Selbst die Staatskasse könnte womöglich von den Ampel-Plänen profitieren, denn eine Erhöhung des Mindestlohns und der Familienleistungen würde sich auch positiv auf die Steuereinnahmen auswirken, etwa bei der Einkommenssteuer. Allerdings ist noch offen, wie die Kindergrundsicherung konkret aussehen soll. SPD, Grüne und FDP hatten dazu im Bundestagswahlkampf jeweils eigene Vorschläge vorgelegt. Das Familienministerium wird in Zukunft von der Grünen-Politikerin Anne Spiegel geführt werden, das Finanzministerium hingegen geht an FDP-Chef Christian Lindner.
Kompromiss bei Topverdienern
Finanziell schlechter gestellt durch die Ampel-Pläne ist den Berechnungen zufolge übrigens niemand. Selbst Gutverdiener profitieren von den Finanz-Vorhaben der neuen Koalition, wenn auch prozentual in wesentlich geringerem Ausmaß. Wer zwischen 250.000 und zwei Millionen Euro pro Jahr verdient, soll am Ende des Jahres im Durchschnitt 600 Euro mehr übrig haben – ein Plus von 0,3 Prozent. Denn auch Gutverdiener profitieren von der Kindergrundsicherung und anderen Maßnahmen wie etwa der erweiterten Abzugsmöglichkeit für Rentenbeiträge bei der Steuererklärung.
Hier lässt sich gut erkennen, wie die drei Ampel-Parteien einen Kompromiss gefunden haben: Im Wahlkampf wollte die FDP drastische Steuersenkungen für Topverdiener (ab 250.000 Euro im Jahr) um bis zu 18.000 Euro durchsetzen und den Rest der Gesellschaft wesentlich weniger entlasten. SPD und Grüne wollten hingegen den Spitzensteuersatz erhöhen und eine Vermögenssteuer einführen, was den oberen Einkommensschichten ein Minus von bis zu 14.000 Euro im Jahr beschert hätte. Nichts davon steht jetzt im Koalitionsvertrag.
Ein großes Fragezeichen ist allerdings die Zukunft des Solidaritätszuschlags. Den müssen seit Jahresbeginn nur noch die wohlhabendsten zehn Prozent entrichten – es ist jedoch unklar, ob diese Regelung verfassungsgemäß ist. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits eine Reform angemahnt. Fällt der Solidaritätszuschlag ersatzlos weg, ändert sich die Bilanz: Dann würden Topverdiener plötzlich stärker entlastet als die Mittelschicht. „Das wäre aus verteilungspolitischer Sicht nicht sinnvoll“, kritisiert Siegloch.
Anmerkung der Redaktion: In einer ursprünglichen Fassung dieses Textes hieß es, die Grünen-Politikerin Steffi Lemke werde das Familienministerium übernehmen. Das ist falsch – das Ministerium geht an Lemkes Parteikollegin Anne Spiegel. Lemke wird Umweltministerin. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
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