Zu laut oder nicht: „Wer gegen die Wärmepumpe des Nachbarn klagt, zahlt meist aus eigener Tasche“
Viele Menschen, die bei Streit um Wärmepumpen-Geräusche einen Anwalt einschalten, setzen sich großen Risiken aus, sagt Rechtsanwalt Stefan Lamers. Teure Verfahren, unsichere Rechtslage, schlimmstenfalls Schadensersatz. Im Gespräch erklärt er, wie Betroffene Lärmstreit besser lösen.
FOCUS online: Herr Lamers, uns hat eine Leserin kontaktiert, die sich durch die Wärmepumpe ihres Nachbarn gestört fühlt und mit ihm keine Lösung fand. Kein Einzelfall derzeit, oder?
Stefan Lamers: Ich kann mich vor ähnlichen Nachfragen kaum retten. Das Thema nimmt auf jeden Fall zu. Viele Menschen fühlen sich gestört.
Bei Wärmepumpen-Streit: „Ich rate von Zivilverfahren ab“
Die Frau streitet sich seit vier Jahren vor dem Zivilgericht mit ihrem Nachbarn.
Lamers: Zivilverfahren sind meistens sehr langwierig und Klagenden entstehen viele Kosten, etwa für Gutachten. Außerdem riskieren sie, Schadensersatz zahlen zu müssen. Weist beispielsweise die erste Instanz den Nachbar an, seine Wärmepumpe abzubauen und die zweite Instanz befindet sie für rechtmäßig, kann der Betreiber je nach Einzelfall Schadensersatz fordern. Daher sind Zivilverfahren in diesen Fällen eher wenig zweckmäßig, weshalb ich Betroffenen hierzu nicht raten würde.
Wie geht es besser?
Lamers: Reden sie zuallererst mit ihrem Nachbarn. Bringt das nichts, suchen Sie sich Ihre zuständige Emissionsschutzbehörde. Das ist entweder das Bauamt oder die untere Naturschutzbehörde. Erklären Sie ihr, dass die Wärmepumpe des Nachbarn Sie stört und der Nachbar trotz freundlicher Bitten daran nichts ändern will. Dann muss die Behörde aktiv werden und Messungen vornehmen. Dadurch sparen Sie den Gutachter.
Erst wenn die Behörde nichts unternimmt, wenn Sie die Ergebnisse der Messungen anzweifeln oder die Behörden trotz festgestellter Verstöße nicht reagieren, gehen Sie zum Anwalt. Häufig kann dieser schon ein Tätigwerden der Behörde erreichen. Muss geklagt werden, klagen Sie dann gegen die Behörde. Dadurch vermeiden Sie das Risiko von Schadensersatzforderungen Ihres Nachbarn.
Zur Person
Rechtsanwalt Stefan Lamers studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln mit verwaltungsrechtlichem Schwerpunkt. Neben dem Studium arbeitete er viereinhalb Jahre im Justiziariat der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Dort festigte sich seine große Affinität zum Verwaltungsrecht. Lamers betreut bundesweit Mandanten im öffentlichen Baurecht und ist Partner der Kanzlei Garben, Schlüter, Schützler & Reiss in Köln.
„Wer klagt, muss oft aus eigener Tasche zahlen“
Was raten Sie den Menschen, die dann vor Ihnen sitzen?
Lamers: Einigen Mandaten muss ich ehrlich sagen, dass die Wärmepumpe des Nachbarn rechtens ist. In vielen Fällen sind die Beschwerden aber sehr berechtigt. Wärmepumpen, die beim Nachbarn direkt an die Hauswand oder drei Meter vor das Schlafzimmer gebaut werden, schaffen zum Beispiel erhebliche und dadurch unzumutbare Beeinträchtigungen.
Generell rate ich: Horchen Sie in sich hinein! Ist das wirklich so eine schlimme Belastung, dass ich mich mit meinem Nachbarn streiten will? Die Klage lohnt sich nur, wenn Ihnen die Wärmepumpe wirklich jede Lebensqualität raubt. Viele Leute finden die Wärmepumpe auch auf einmal doch hinnehmbar, wenn sie merken, den Anwalt auch bezahlen zu müssen.
Schützt vor Anwaltskosten nicht die Rechtsschutzversicherung?
Lamers: Die meisten Versicherungen zahlen nicht. Sie erhalten regelmäßig Klauseln, die diese Fälle ausnehmen. Wer klagt, muss oft aus eigener Tasche zahlen.
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„Die Unzumutbarkeitsschwelle liegt recht hoch“
Warum beschweren sich Menschen über rechtmäßige Wärmepumpen ihrer Nachbarn?
Lamers: Zu mir kommen oft Menschen, die die Lautstärke mit semiprofessionellen Messgeräten oder Apps auf dem Handy gemessen und mit den Grenzwerten für Wohngebiete verglichen haben. Sie meinen dann, die Lage sei eindeutig und die Wärmepumpe müsse weg. So einfach ist es aber nicht.
Das Baurecht ist immer eine Interessenabwägung. Es kommt nicht nur auf den Lärmschutz an, sondern auf die hinnehmbare Belastung. Beeinträchtigungen sind zulässig. Sie dürfen nur nicht unzumutbar sein, und die Unzumutbarkeitsschwelle liegt recht hoch. Da reden wir von gesundheitsschädigendem Lärm.
„Laien können kaum beurteilen, ob eine Wärmepumpe rechtens ist“
Wie erkenne ich dann, ob die Pumpe des Nachbarn rechtens ist?
Lamers: Laien können das kaum beurteilen. Ich habe manchmal Menschen vor mir, die behaupten die Wärmepumpe ihres Nachbarn sei zu laut. Dabei widerspricht ihnen ihr eigener Sachverständiger.
Was macht der Sachverständige anders als der Laie?
Lamers: Zunächst brauchen sie ein geeichtes Gerät. Dann müssen sie umgebungsbezogene Kriterien berücksichtigen, beispielsweise Reflexionen, Straßen zwischen den Grundstücken und viele andere Aspekte, sowie die richtigen Zu- und Abschläge für den Lärm in ihr Gutachten einberechnen. Das ist eine Wissenschaft für sich. Am Ende haben sie ein langes Gutachten mit Messprotokoll.
Handmessgeräte oder Apps fürs Handy bringen gar nichts?
Lamers: Sie liefern höchstens ein Indiz. Liegen schon ihre Werte niedrig, brauche ich nicht zur Behörde und brauche keinen Sachverständigen. Aber sie taugen nicht als Beweis für die Lärmbelästigung. Das gilt auch für behördeninterne Richtlinien, die sagen: Wärmepumpen brauchen je nach Lautstärke einen bestimmten Mindestabstand zum nächsten Haus. Das sind immer nur Näherungen. Am Ende steht immer eine Einzelfallentscheidung.
„Verfahren ziehen sich mehrere Jahre hin“
Nehmen wir an, der Sachverständige gibt mir recht. Die Pumpe ist zu laut, aber das Bauamt unternimmt nichts. Wie schnell hilft mir ein Gericht?
Lamers: Selbst in den recht klaren Fällen, in der ein Nachbar dem anderen die Wärmepumpe direkt unters Schlafzimmerfenster gebaut hatte, zogen sich die Verfahren mehrere Jahre hin. Vor dem Verwaltungsgericht sollten Sie zumindest in Nordrhein-Westfalen mit mindestens anderthalb Jahren rechnen. Mehren sich die Klagen weiter, könnten die Gerichte künftig auch noch länger brauchen.
Was könnte Verfahren beschleunigen?
Lamers: Die Politik muss klare Regeln finden und diese Interessensabwägungen klar festlegen. Momentan fehlt der Rechtsprechung eine klare rote Linie. Klagen sind daher sehr risikobehaftet. Sie stehen immer vor einer Einzelfallentscheidung, die nicht selten eine Abwägung zur Grundlage hat. Der Gesetzgeber muss klare Vorgaben machen oder eine klare Checkliste vorgeben. Worauf muss ich achten? Was ist zumutbar?
„Eine defekte Wärmepumpen kann auch in 15 Metern Abstand zu laut sein“
Was mache ich dann, wenn mich die Wärmepumpe des Nachbarn nachts nicht schlafen lässt?
Lamers: Ich schaue mit meinen Klienten zuerst, ob die Wärmepumpe gegen baurechtliche Regelungen verstößt, zum Beispiel gegen den Bebauungsplan oder gegen die Abstandsflächenregelungen. Die Abstandsflächen betragen in den meisten Bundesländern drei Meter von der Grundstücksgrenze. Das Bauamt kann Ausnahmen genehmigen. Steht eine Wärmepumpe aber ohne Genehmigung an der Grundstücksgrenze, ist dies ein eindeutiger Verstoß. Das lässt sich schneller klären, ohne Gutachter und Deutungsspielraum.
Und wenn die Wärmepumpe die Abstandsflächen einhält? Ist sie dann meist sowieso nicht zu laut?
Lamers: Die Wahrscheinlichkeit sinkt deutlich, aber eindeutig kann das niemand sagen. Ist die Wärmepumpe defekt, völlig falsch dimensioniert oder so aufgebaut, dass der Schall direkt auf das Nachbarhaus reflektiert wird, kann sie auch in zehn oder 15 Metern Abstand zu laut sein.
„Die Rechtslage ist sehr unbefriedigend“
Das erschwert auch den Betreibern von Wärmepumpen die Planung, oder?
Lamers: Ja. Ich berate immer wieder Menschen, die sich vor dem Wärmepumpenbau mit mir besprechen, damit sie alles richtig machen. Trotzdem muss ich ihnen sagen: Sie können alles bedenken, was man bedenken soll. Abstandsflächen, abgewandte Hausseite, ebenerdiger Lüfter ohne Behinderung. Trotzdem kann ein Nachbar klagen und im schlechtesten Fall auch recht bekommen. Derzeit kann niemand endgültig sagen, welche Entscheidungen ein Gericht trifft. Der Rechtsprechung fehlt eine klare rote Linie. Für eine Technologie, die künftig so wichtig werden soll, ist die Rechtslage sehr unbefriedigend.
Wenn ich einen Prozess vermeiden will: Wie finde ich mit meinem Nachbar eine gütliche Einigung?
Lamers: Dafür gibt es keine Vorgaben. Eine Einhausung verringert zum Beispiel den Lärm einer Wärmepumpe. Sie können dem Nachbar beispielsweise eine Kostenbeteiligung anbieten, falls er sie errichten lässt. Solche Lösungen sparen ihnen teure Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Ausgang.
mas
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