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Wirtschaft: Ein Zuhause für 88 Cent pro Jahr

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    In der Pflanze steckt keine Gentechnik

    Aber keine Sorge:
    Gentechnish verändert
    sind die

Zinswende, energetische Sanierungen, Inflation – Wohnen droht für viele unerschwinglich zu werden. Die Fuggerei in Augsburg zeigt, wie es besser gehen könnte. Ein Vorbild?

Herr Deininger, 51, raste jede Nacht mit einem Sprinter voller Pakete von Augsburg über München nach Bad Hersfeld und zurück. Bis er eines Tages umfiel und nicht mehr konnte. Frau Thoma, 72, hat ihr ganzes Leben in der Gastronomie gearbeitet. Als sie ihren Rentenbescheid bekam, fiel sie in Ohnmacht, so niedrig fiel der aus. Frau Kratz, 79, wurde in ihrer alten Wohnung jahrelang von einem psychopathischen Nachbarn tyrannisiert. „Ständig musste die Polizei kommen. Ich war fix und alle.“

Jetzt wohnen Frau Kratz, Frau Thoma und Herr Deininger mit seiner Familie in der Fuggerei mitten in der Stadt. Gemeinsam mit 142 anderen Augsburgern. Das Areal ist umgeben von einer hohen Mauer. Dahinter beginnt die pure Idylle: Im Zentrum der Siedlung gibt es einen Brunnen, hinter den Häusern Gärten und am Tor zur Jakoberstraße einen kleinen Biergarten. Nachts werden die Gaslaternen angezündet und die Tore geschlossen. Wer rein- oder rauswill, muss den Nachtwächter aus dem Schlaf klingeln und einen kleinen Obolus entrichten. Die Fuggerei soll ein sicherer Ort sein. So ist das schon seit 502 Jahren in der ältesten Sozialsiedlung der Welt.

Damals kaufte Jakob Fugger, einer der reichsten Superreichen der damaligen Zeit, das Areal. Er hatte sein Vermögen mit Silberbergwerken, Im- und Export sowie als Banker gemacht. Vielleicht aus Angst vor dem Fegefeuer, vielleicht aber auch aus Menschenliebe entschied er sich, nebenbei Gutes zu tun, und bebaute das Areal mit hübschen Häusern für die Armen seiner Heimat Augsburg. Sie sollten dort in Würde leben können.

Weil die Leute als Almosenempfänger ihre Bürgerrechte verloren hätten, mussten sie Miete zahlen. Zweifach. Materiell einen Rheinischen Gulden (das entsprach damals etwa einem Wochenlohn) pro Jahr. Spirituell drei Gebete täglich: Vaterunser, Glaubensbekenntnis und das Ave-Maria.             

Wer reinwill, muss katholisch sein

Diese Regeln gelten heute noch. Ein Gulden ist jetzt allerdings nur noch 88 Cent wert. Das ist in der Fuggerei die aktuelle Jahresmiete. Dazu kommen die Nebenkosten und weitere 88 Cent pro Jahr für den Pfarrer. Ob vertragsgemäß gebetet wird, kontrollierte schon früher niemand, die Bedürftigkeit aber schon. Sie muss vom Sozialamt bestätigt werden. Außerdem muss man katholisch sein und seit mindestens zwei Jahren in Augsburg leben. So will es die Stiftungsurkunde.

„Ob Sie weiblich, männlich oder divers sind, ist uns genauso egal wie das Herkunftsland“, sagt die Sozialpädagogin Doris Herzog. In der Fuggerei leben Menschen aus Deutschland, Kroatien, Italien, Polen, Rumänien, Tschechien, Ungarn und von den Philippinen. Herzog und eine Kollegin haben ihre Büros mitten in der Siedlung.

Von außen sehen die Häuser aus wie vor 500 Jahren: Denkmalschutz. Innen entspricht alles modernen Standards: 60 Quadratmeter, drei Zimmer, Strom, Zentralheizung, neue Bäder, Einbauküche. Nur die Decken sind etwas niedrig, früher waren die Menschen eben kleiner.

Die älteste Bewohnerin ist 91 Jahre alt, der jüngste Bewohner erst ein Jahr. Die meisten sind eher im Rentenalter, zwei Drittel Frauen. Familien gibt es wenige, weil nur zwei Wohnungen groß genug für vier oder fünf Leute sind. Jährlich werden maximal zehn der Wohnungen frei, meistens weil jemand ins Pflegeheim kommt oder verstirbt. Die Wartezeit der Bewerber beträgt bis zu drei Jahre.

Das Leben in der Fuggerei ist friedlich. Das hat einerseits mit dem Alter der Bewohner zu tun, aber auch mit der Architektur: kleine, überschaubare Häuser statt Wohnsilos wie in anderen Sozialsiedlungen. „Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass wir mit unserer bescheidenen Miete den Bewohnerinnen und Bewohnern finanziellen Stress ersparen“, sagt Doris Herzog. „Das verhilft zu einem gelingenden Leben in Würde.“

58 Prozent der Deutschen leben zur Miete in etwa zehn Millionen Mietwohnungen. Ein Leben in Würde und ohne Geldsorgen gelingt nach einer soziologischen Faustregel nur dann, wenn die Warmmiete nicht mehr ausmacht als 30 Prozent des Einkommens. Über die Hälfte der Großstädter muss mehr zahlen. Glück hat zwar, wer mit geringem Einkommen eine der 1,13 Millionen Sozialwohnungen ergattert. Aber auch die sind knapp. Der Fehlbestand wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt, gebaut werden jährlich nur rund 20 000 – und die oft in Monstersiedlungen, die sich häufig zu sozialen Brennpunkten entwickeln.

Frau Thoma sitzt gerade mit Nachbarinnen beim dienstäglichen Kaffeeklatsch im Begegnungsraum. Sie erzählt, wie sie nach ihrem Renten-Ohnmachtsanfall einen Aufnahmeantrag bei der Fuggerei stellte. Kaum zwei Jahre später kam der Anruf: „Ihre Wohnung ist frei.“

Wie fast alle älteren Damen in der Fuggerei ist Frau Thoma ein Fan von Torsten Vogel, dem Leiter des Bautrupps. Er macht den Job seit 29 Jahren und kennt jede Wohnung. Wenn er durch die Gassen radelt, wird er alle zehn Meter gestoppt und beflirtet. Im Moment saniert er das Haus Hintere Gasse 9.

Dies ist ein Text aus dem aktuellen FOCUS Magazin

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Beim Jakobertor hinter dem Biergarten steht ein palastähnliches Gebäude. Es ist der Wohn- und Dienstsitz von Wolf-Dietrich Graf von Hundt. Er verwaltet die Siedlung im Auftrag der Fugger-Stiftung, die von drei Familienstämmen in der 16. Generation geführt wird. Schließlich hat Jakob Fugger sie „für die Ewigkeit“ bestimmt und ausgeschlossen, dass das Stiftungsvermögen anderweitig verkauft wird.

Noch cleverer als Jakob war sein Nachfolger Anton. Er traute der Geldstabilität in den wilden Zeiten der Renaissance nicht und schichtete das Stiftungsvermögen von Geld in Liegenschaften um. „Das war immer wieder unsere Rettung“, sagt Graf Hundt, ein gelernter Betriebswirt und Steuerberater. Zurzeit gehören der Stiftung etwa 3200 Hektar Mischwald rund um Augsburg. „In der langen Geschichte der Fuggerei gingen Geschäftspartner, Banken, Staaten pleite. Doch unser Wald warf immer genug Ertrag ab, um die Fuggerei aufrechtzuerhalten“, sagt Hundt.             

Bezahlbarer Wohnraum als Exporthit?

Das Jahresbudget der Einrichtung beträgt rund fünf Millionen Euro. 70 Prozent davon steuern die Erträge aus dem Wald bei. Zehn Prozent stammen aus den Mieten einiger Wohnhäuser in Augsburg. Den Rest bringen die 220.000 Besucher, die jährlich die Fuggerei bestaunen und neuerdings 8 Euro Eintritt bezahlen müssen.

„Unser Erfolgsgeheimnis“, sagt Hundt, „ist die Stiftung. Große Wohnungsbaukonzerne möchten möglichst viel Kapital machen. Eine Stiftung muss nicht 15 Prozent Rendite abwerfen. Sie muss sich nur selbst bezahlen.“ Er schlägt der Politik und den Kommunen deshalb vor, sich die Fuggerei zum Vorbild zu nehmen. Keine riesigen Neubauprojekte, keine kommerziellen Partner. „Macht das kleiner!“, fordert Hundt. „Macht das schöner, seht das nicht als Baugrundstück, seht das als Stadtteil! Wie wir es tun.“

Alexander Erbgraf Fugger, 41, ist Investmentbanker und Sprecher des Seniorats, das die Fuggerschen Stiftungen führt und Managing Director der Fürst Fugger Zentralverwaltung ist. Er steht für das Projekt „Fuggerei Next 500“, mit dem die Stiftung in die nächsten Jahrhunderte gehen will. „In Augsburg wollen wir nichts grundlegend am Erfolgsrezept der Fuggerei ändern“, sagt er. Aber die Idee, nicht nur Wohnungen aneinanderzureihen, sondern nebenbei auch noch die Menschenwürde der Bewohnerinnen und Bewohner zu stärken, soll exportiert werden. „Wenn es um das Thema bezahlbarer Wohnraum geht“, sagt Fugger, „sind wir der ideale Sparringspartner.“

Das Know-how wird gratis geteilt. Projekte in Sierra Leone, Litauen und in der Ukraine seien bereits im Gespräch. Die Würde könnte zum Exportschlager taugen.



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#Immobilien #mieten #Aachen