Glückwunsch: Seit Mittwochmorgen 05:12 Uhr dürfen Sie das Geld, dass Sie erarbeiten, auch behalten. Alles davor ging – rein rechnerisch – an den Staat. Der Steuerzahlerbund bilanziert Jahr für Jahr auf die Minute genau, wie viel Steuern und Abgaben die Deutschen an den Staat abführen und rechnet das in einen Jahrestag um. 2023 war es eben der 12. Juli morgens um kurz nach fünf. So wird plakativ deutlich, wie hoch die Belastung hierzulande ist.
Deutschland ist ein Hochsteuerland, das sind sich sogar Regierung und Opposition einig. Die offizielle Antwort des Finanzministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsfraktion lautete jüngst: „In Deutschland fällt die Steuer- und Abgabenbelastung auf Arbeitseinkommen in einer OECD-weiten Betrachtung hoch aus.“ Unter den Industrieländern verlangt nur Belgien seinen Bürgern noch mehr ab. Frankreich, Österreich und Italien sind aber zum Beispiel nicht weit weg von deutschen Verhältnissen. Deutlich weniger Steuern und Abgaben müssen Menschen in der Schweiz, Israel, Großbritannien oder den USA berappen. Auch die deutschen Unternehmen werden mit 29,8 Prozent im Vergleich sehr hoch besteuert, was ein Nachteil für den Standort ist. „Die im internationalen Vergleich hohe Unternehmensteuerbelastung hat Auswirkung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit“, schreibt Finanzstaatssekretärin Katja Hessel – und es fällt einer FDP-Politikerin wohl nicht leicht, das zuzugeben.
Steuersenkungen sind Gedankenspiele
Da liegt der Gedanke nah, die Steuern zu senken. Dafür steht ja auch die FDP, die mit Christian Lindner den Finanzminister stellt. Es würde dem Wirtschaftsstandort gut tun, der gerade massiv unter Druck steht. Dessen Ministerium erkennt an, dass Steuersenkungen „die Investitionstätigkeit und die Innovationskraft der Unternehmen stärken“. Und: „Aufseiten der Bürgerinnen und Bürger erhöht eine sinkende Abgabenbelastung die Nettolöhne und schafft Anreize zur Beschäftigungsaufnahme oder auch zur Verschiebung des Ruhestands.“
Die Opposition stichelte bereits, wann es von Lindner ein Konzept geben wird. „Es herrscht steuerpolitischer Stillstand“, sagt der CDU-Finanzpolitiker Fritz Güntzler. „Dabei brauchen wir dringend Entlastung: Bei den Unternehmen für einen wirtschaftlichen Aufschwung, bei den Bürgern, damit diese unter der hohen Abgabenlast wieder aufatmen können.“ Lindner wollte erst einmal den Haushalt durch das Kabinett bringen und im Sommer etwas vorstellen.
Nun ist es draußen längst hochsommerlich warm und aus den vagen Andeutungen wird Konkretes. Lindner hat erste Eckpunkte an die Medien durchsickern lassen, die er nun in die Ressortabstimmung geben will. Im Detail sind solche Steuerthemen stets technisch und ein sprachlicher Graus, deshalb gibt der Finanzminister seinem Konzept laut FAZ einen schönen Namen: Wachstums-Chancen-Gesetz. Oder in lang: „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“.
WCG eine kleine Steuerreform?
Um es vorweg zu nehmen: Eine monatelange wilde Diskussion wie bei Habecks Heizungsgesetz GEG dürfte es beim „WCG“ nicht geben. Denn auch wenn das Paket Steuerbürokratie abbauen soll und 50 Maßnahmen umfasst, nennt es der Finanzminister eine „kleine Steuerreform“. Es geht um einen – im Vergleich mit üblichen Steuerdimensionen – niedrigen einstelligen Milliardenbetrag, der ab 2025 wirksam wird. Kern der Maßnahmen ist Lindners Ansatz, den Klimaschutz nicht durch Verbote zu fördern, wie es im Bundeswirtschaftsministerium favorisiert wurde, sondern mit Prämien für Investitionen.
Lindner will „die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken und Spielräume eröffnen für Investitionen und Innovationen“. Profitieren sollen weniger die Konzerne oder Bürger, sondern vor allem kleinere und mittlere Betriebe. Die Unternehmen, die in klimafreundliche Technologien investieren, bekommen eine Prämie. Forschung wird stärker gefördert und bei der Verlustrechnung will der Fiskus großzügiger sein. Firmen sollen kleinere Anschaffungen schneller abschreiben können, damit sie sich rascher amortisieren. Anders als ursprünglich vorgesehen sieht die Reform wohl keine Förderung für Investitionen in Digitalisierung mehr vor.
Auch die erhoffte Senkung der Unternehmenssteuern ist wohl nicht machbar angesichts der Haushaltslage: Die Koalitionspartner SPD und Grüne drängen ja eher auf höhere Steuern, um allen Ausgabenwünschen gerecht zu werden. Entsprechend ist Stand heute auch keine Rede von Entlastungen für die Bürger in der Breite. Der Steuerzahler ist von der Reform nur indirekt betroffen, denn im Idealfall stärkt es seinen Arbeitgeber und den Standort Deutschland. Das ist auch schon mal was, möchte man sagen. Mehr ist derzeit wohl selbst mit der FDP nicht drin.
Der Beitrag „Wer von Lindners Steuerreform profitiert – und wer nicht“ stammt von WirtschaftsKurier.
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