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Ökonomen modellieren Kosten: „Milliardenverluste sind kein gültiges Argument gegen radikalen Klimaschutz“

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In vielen Ländern schrecken Regierungen vor einer strikteren Klimapolitik zurück. An der Öl- und Gasindustrie hängen nämlich nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Vermögen und Vorsorgesysteme. Eine neue Studie zeigt: Vermögensverluste durch Klimaschutz wären verkraftbar – und würden ohnehin nicht alle gleich reffen.

Wer die Erde wirklich retten will, muss auf fossile Energieträger verzichten, fordern Klimaschützer – und zwar sofort. Regierungen hadern damit. Einerseits braucht es die Energie schlichtweg, für Fließbänder und Hochöfen, Laster, Autos, und die heimische Gasheizung, wenn es wieder kälter wird.

Auf der anderen Seite würden radikale Klimaschutzmaßnahmen schlagartige Vermögensverluste bedeuten. Wenn Öl-Multis wie Shell oder BP ab morgen kein Öl mehr fördern, raffinieren und vertreiben dürften, würden die Aktienkurse in den Keller fallen. Die Aktionäre wären ruiniert. Und nicht nur diese.

Denn neben direkten Investoren träfe ein solcher Kurs auch viele Pensionsfonds, und damit die Altersvorsorge vieler Menschen, die nicht aktiv an der Börse anlegen. Diese Fonds sind Billionen schwer, und sind teilweise auch noch stark in die Öl- und Gasindustrie investiert. Allein Norwegens Pensionsfonds besitzt Shell-Anteile im Wert von knapp 5,2 Milliarden Euro.

Diese Positionen würden folglich massiv abwerten und zu „stranded assets“ („gestrandete Vermögenswerte“) verkommen, ebenso wie Förderanlagen, Pipeline-Infrastruktur oder Öl- und Gasreserven, die nicht mehr verbraucht werden dürften.

„Regierungen verwässern Klimapolitik aus Furcht vor Vermögensverlusten“

Die Frage dabei bleibt, wie heftig diese Schäden wirklich wären. Eine neue Studie aus der Feder mehrerer Ökonomie-Professoren aus dem US-Bundesstaat Massachusetts hat sich dieser Frage angenommen, zumindest, was die rein finanziellen Verluste angehen würde. Die Volkswirte betonen explizit, dass es nicht um verlorene Arbeitsplätze oder andere, makroökonomische Auswirkungen einer ambitionierten Klimapolitik geht.

„Regierungen in reichen, westlichen Ländern verwässern womöglich ihre Klimapolitik, aus Furcht vor den sozialen Auswirkungen gestrandeter Vermögenswerte, da eine derartige Politik Öl- und Gasfirmen schädigt“, schreiben die Autoren. „Der momentane Vorstoß, sowohl in Europa als auch in den USA, die Investitionen in fossile Energie als Resultat des weggefallenen Angebots aus Russland wieder auszuweiten, unterstreicht die Sorgen vor verwässerten Klimaschutzambitionen.“

 

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Doch genau von diesem Risiko sollten sich Regierungen nicht abschrecken lassen, sagen die Ökonomen. Denn jeglicher Vermögensverlust einer ambitionierten Klimapolitik könne mit geringem finanziellem Einsatz gegenfinanziert werden. Zudem träfen solche Maßnahmen nicht alle gleich.

Dazu kombinieren die Forscher – nach eigenen Angaben erstmals – makroökonomische und finanzielle Daten aus den USA und Europa zur Verteilung der Besitzverhältnisse an der Öl- und Gasindustrie. „Die gestrandeten Vermögenswerte werden nach den potenziellen Verlusten von über 40.000 Öl- und Gasfeldern modelliert. Diese Verluste werden bis zu den tatsächlichen Eignern zurückverfolgt, das heißt, die Personen, die über Aktien und Fondsanteile an Öl- und Gasfirmen beteiligt sind“, erklären die Forscher.

Die Verteilung der Vermögen – beziehungsweise des möglichen Verlusts – machen die Ökonomen an Einkommenssteuerdaten, Vermögensumfragen und nationalen Rechnungsdaten fest. Ihrer Schätzung nach überschreiten die Verluste im Basisszenario für Personen in den USA und Europa die Marke von 500 Milliarden US-Dollar. In diesem Szenario würde der Verbrauch respektive die Nachfrage nach Öl und Gas soweit eingeschränkt, um die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu limitieren.

Untere 90 Prozent müssten nur ein Drittel der Verluste schultern

Allerdings wären nicht alle Einkommensgruppen gleich betroffen. „In den USA beispielsweise besitzt das oberste Prozent 39 Prozent des Finanzvermögens, während die unteren 50 Prozent weniger als vier Prozent besitzen“, so die Forscher.

Entsprechend ungleich verteilt wären auch die Verluste durch „stranded assets“. „In den Vereinigten Staaten würde die ärmere Hälfte nur 3,5 Prozent der 350 Milliarden Dollar an etwaigen Verlusten tragen, während ein Drittel der Verluste die unteren 90 Prozent insgesamt treffen würden.“ Die verbleibenden zwei Drittel – gut 233 Milliarden Dollar – der Verluste wiederum wären etwa gleich unter dem obersten Prozent und den nachfolgenden neun Prozent aufgeteilt. „In Europa, mit geschätzten Verlusten von gut 200 Milliarden Dollar, wäre die Verteilung ähnlich schief“, merken die Ökonomen an.

 

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Damit würden die Reichen absolut den größten Schaden erleiden – gemessen am Gesamtvermögen seien diese dennoch gering, argumentieren die Forscher. Im Basiszenario gehe es um Verluste von weniger als einem Prozent des Nettovermögens des reichsten Prozents. Bei den nächsten neun Prozent sowie den mittleren 40 Prozent der Bevölkerung würden die Verluste sogar einen noch geringeren Anteil am Vermögen haben, welches in diesen Schichten hauptsächlich aus Immobilieneigentum bestehe.

Tatsächlich würde die ärmere Hälfte der Bevölkerung größere Schäden erleiden, relativ betrachtet. In europäischen Ländern stünden 0,05 bis 1,0 Prozent des Vermögens auf dem Spiel, in den USA indes sogar 4,0 bis 5,0 Prozent. Vor allem Briten und US-Amerikaner wären betroffen, erklären die Forscher.

„In diesen beiden Ländern besitzen die unteren 50 Prozent beträchtliche Vermögensanteile am Kapitalmarkt in Form von Pensionsfondseinzahlungen, und diese Investments laufen Gefahr, zu stranden.“ Andere westliche Vorsorgesystemen, etwa wie in Deutschland, Frankreich oder Italien, seien indes unabhängig vom Kapitalmarkt.

Ausgleich der Verluste unter ärmeren Europäern wäre billiger als Uniper-Rettung

Unterm Strich zeigen die Berechnungen, dass Reiche absolut den größten Schaden durch „gestrandete Vermögenswerte“ erleiden würden, jedoch weitestgehend durch ihr beträchtliches Gesamtvermögen geschützt blieben. Verwundbarer wären indes weniger vermögende Schichten, vor allem in den USA und dem Vereinigten Königreich.

Allerdings würde es wenig kosten, wenn Regierungen die Verluste der Ärmeren ausgleichen würden. „Der Ausgleich der Verluste bei den unteren 50 Prozent würde in Europa neun Milliarden Dollar kosten, in den USA zwölf Milliarden Dollar – weniger also als kürzlich die 15 Milliarden Dollar schwere Rettung des Versorger Uniper durch die Bundesregierung.“

Auch gemessen am Volksvermögen und der Wirtschaftskraft wären die Kosten vertretbar, argumentieren die Ökonomen. „Der Ausgleich der Verluste, welche die unteren 90 Prozent tragen müssten, würde je nach Land zwischen 0,1 und 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 0,02 bis 0,3 Prozent des Volksvermögens kosten.“

„Kein gültiges Argument gegen mutige Klimaschutzmaßnahmen“

Zusätzlich gebe es Finanzierungsmöglichkeiten dafür, wie beispielsweise eine CO2-Bepreisung. „Eine moderate Bepreisung von 13 US-Dollar je metrische Tonne an Kohlenstoffdioxidäquivalent würde im kommenden Jahrzehnt rund 74 Milliarden Dollar jährlich einbringen. Der Verlustausgleich für die ärmeren 50 Prozent würde nur ein Sechstel davon kosten.“

„Von reichen Ländern wird erwartet, dass sie mutige Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Die Aussicht auf gestrandete Vermögenswerte und deren mögliche Auswirkungen auf Kapitaleigner aus der Mittel- und Unterschicht ist kein gültiges Argument dagegen“, resümieren die Forscher. Von „stranded assets“ wären vorrangig Reiche betroffen, während es Optionen gebe, Verluste unter den Ärmsten kostengünstig zu kompensieren.

Die Ökonomen räumen zwar ein, dass die Resultate in ihrer Aussagekraft limitiert bleiben, da Datenzugang und -transparenz eingeschränkt seien. Umso wichtiger sei es, dass Regierungen Kapazität ausbauen, um den Umfang solcher Kapitalverluste besser erfassen zu können. Denn nur so könne „eine faire Politik zur Dekarbonisierung“ betrieben werden.

Wöchentlich: Informieren, Hintergründe verstehen, richtig entscheiden:

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