Streit um Banken-Netzwerk Swift: Italien und Zypern befürworten Swift-Ausschluss – nur noch Deutschland und Ungarn blockieren
Der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Banken- Kommunikationsnetzwerk Swift gilt als das schärfste Sanktionsschwert des Westens. Doch die deutsche Regierung blockiert diese Sanktion bislang: Denn als Folge könnte Deutschland kein russisches Gas mehr bezahlen und beziehen.
Am Freitagabend hat die Europäische Union erneut die Sanktionen gegen Russland wegen des Krieges gegen die Ukraine verschärft. Das schärfste Sanktionsschwert sollte aber besonders wegen des Widerstands Deutschlands, Italiens, Ungarns und Zyperns nicht enthalten sein: der Ausschluss Russlands aus dem Banken- Kommunikationsnetzwerk Swift, mit dem russische Banken quasi vom globalen Finanzsystem abgeschnitten wären.
Italien und Zypern sprechen sich für russischen Swift-Ausschluss aus
Am Samstag verkündeten der ukrainische Präsident Wolodomir Selenskyj und der Außenminister Dmytro Kuleba, dass Italien und Zypern den russischen Ausschluss von Swift nun doch unterstützen. „Dies ist der Beginn einer neuen Seite in der Geschichte unserer Staaten. Mario Draghi hat in einem Telefongespräch Russlands Abkopplung von Swift und die Bereitstellung von Verteidigungshilfe unterstützt.“ Kuleba schrieb: „Wir haben es geschafft. Zypern hat bestätigt, dass es die Entscheidung, Russland von Swift auszuschließen, nicht blockieren wird.“
Der Moskau-Korrespondent der Financial Times meldete am Samstag, dass die Entscheidung Zyperns womöglich mehr wiege als die deutsche Blockade. Zypern ist einer der größten ausländischen Investoren Russlands, die zweitgrößte Bank in Zypern ist russisch.
Selenskyj: „Ich hoffe, dass Deutschland und Ungarn den Mut haben“
Selenskyj hat Deutschland und Ungarn aufgefordert, den Ausschluss Moskaus zu unterstützen. „Es gibt bereits fast die volle Unterstützung der EU-Länder, Russland von Swift abzukoppeln“, sagte Selenskyj am Samstag in einer im Netz veröffentlichten Videobotschaft. „Ich hoffe, dass Deutschland und Ungarn den Mut haben werden, diese Entscheidung zu unterstützen.“
Deutschland könnte kein russisches Gas mehr bezahlen und beziehen
„Diejenigen EU-Regierungen, die harte Entscheidungen blockiert haben, haben Schande über sich selbst gebracht“, schrieb der polnische Oppositionsführer und frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag auf Twitter. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb am Donnerstag auf Twitter: „Jeder, der jetzt daran zweifelt, ob Russland von Swift ausgeschlossen werden sollte, muss verstehen, dass das Blut unschuldiger ukrainischer Männer, Frauen und Kinder auch an ihren Händen kleben wird.“ Der Swift-Ausschluss Russlands dürfe „nicht an Deutschland scheitern“, schrieb der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf Twitter.
Die Regierung verteidigt ihre Blockade mit einer aufwändigen technischen Vorbereitung und einer massiven Auswirkungen auf deutsche Geschäfte mit Russland. Denn ein Ausschluss würde für Deutschland bedeuten, dass man russisches Gas nicht mehr bezahlen und somit kein Gas mehr beziehen könne.
Wenn Russland also tatsächlich aus Swift ausgeschlossen würde, bekäme Deutschland nur noch etwa einen Monat lang Gas. „Ist das ein Triggern, das Russland dazu veranlasst, seine Gaslieferungen einzustellen, weil sie nicht mehr bezahlt werden können?“, gab Bundesfinanzminister Christian Lindner am Freitag zu bedenken.
Lindner und Baerbock verteidigen Swift-Blockade
Deutschland würde als Folge mehr für Gas und Energie bezahlen müssen. Länder, die ihren Energiebedarf zu einem hohen Anteil aus Russland decken wie Deutschland, Italien oder Ungarn blockieren die Sanktion deswegen bislang.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock argumentiert, dass anders als die Sanktionierung einzelner Banken würde die Entkopplung Russlands vom Swift-System eine „Breitenwirkung“ entfalten und die Bevölkerung treffen. „Alles, was wir tun könnten, um diesen Wahn zu stoppen, würden wir tun. Aber ebenso müssen wir sehen, dass wir nicht Instrumente wählen, wo Putin am Ende drüber lacht, weil sie uns viel härter treffen“, so Baerbock.
50 Prozent der Steinkohleimporte stammten aus Russland, sagte Baerbock: „Wenn wir diese Kohle nicht haben, werden die Kohlekraftwerke in Deutschland nicht weiterlaufen können.“ Das sei ein Fehler aus der Vergangenheit, der jetzt aber nicht schnell korrigierbar sei. Lindner und Baerbock verwiesen darauf, dass nun geprüft werden müsse, welche Auswirkungen dies auf die Versorgung hätte. Einen Zeitpunkt für die Prüfung nannten sie nicht.
Draghi verweist auf italienische Sonderstellung
Auch der italienische Premierminister Mario Draghi verwies bereits vergangene Woche auf seine Sondersituation: Während sich Deutschland auf Kohle, Gas und alte Kernkraftwerke, und Frankreich auf Atomstrom verlassen können, habe Italien ausschließlich Gas – und das kommt zu 40 Prozent aus Russland. Italien müsste dann ebenso wie Deutschland viel mehr Flüssiggas per Schiff aus Ländern wie den USA oder Katar einführen. Deswegen appellierte er, dass bei den Sanktionen auch berücksichtigt werden müsse, wie Italien und andere europäische Länder mit genug Gas versorgt werden können, wenn aus Russland weniger geliefert wird.
Ungarn hat erst vor wenigen Wochen ein Abkommen mit Moskau unterzeichnet, das es dem Land ermöglicht, russisches Gas weit unter dem Marktpreis zu kaufen. „Wenn Deutschland und andere europäische Länder Probleme bei der Energieversorgung bekämen, dann sei dies etwas, was Putin auch wolle, eine “Destabilisierung bei uns“, machte Baerbock deutlich.
Politikerinnen und Politiker der Grünen und der CDU, aber auch der SPD drängen auf einen russischen Swift-Ausschluss. Es spreche „viel dafür, dass in dieser Lage der Ausschluss aus Swift und ein Importboykott fossiler Rohstoffe der nächste Schritt sein muss“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne). „Russland muss raus “, verlangte der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic im „Spiegel“, so auch der Grünen-Europapolitiker Erik Marquardt.
Johnson, Nehammer und Le Maire für Swift-Ausschluss
Der britische Premier Boris Johnson forderte, Russland umgehend aus dem Zahlungsverkehrssystem Swift auszuschließen, „um Präsident Putin und seinem Regime maximal wehzutun“. Deutlich für einen Swift-Ausschluss sprach sich auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer aus. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire erklärte, einige EU-Staaten hätten „Vorbehalte“ gegen den Swift-Ausschluss Russlands, der als „finanzielle Atomwaffe“ empfunden werde. „Frankreich gehört nicht zu diesen Ländern“, betonte er.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn dagegen verteidigte die Entscheidung, auf diese Strafmaßnahme vorerst zu verzichten. „Wir können neben dieser Krise, die wir jetzt haben, nicht noch eine Welthandelskrise provozieren“, sagte Asselborn. „Wir wissen nicht, was die Auswirkungen sind auf den Weltmarkt und ob das nicht kontraproduktiv ist und Russland nicht so schadet.“
Swift-Ausschluss würde russische Wirtschaft lahm legen
Besonders Länder wie Deutschland, die ihren Energiebedarf zu einem hohen Anteil aus Russland decken, würden einen wirtschaftlichen Schaden erleiden. „Aber das Szenario wurde vorbereitet und ist handhabbar“, wurde die Ökonomin Veronika Grimm im Redaktionsnetzwerk Deutschland am Samstag zitiert.
Ähnlich äußerte sich der Direktor des arbeitgebernahen Institutes der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. „Stoppt man Swift, bricht alles zusammen – das konnte man im Iran beobachten. Anders ist Putin aber womöglich nicht zu bremsen“, sagte Hüther der Funke Mediengruppe.
Wenn Russland aus Swift ausgeschlossen wird, würde jeglicher internationaler Zahlungsverkehr von und nach Russland – mit Ausnahme von Kiew – gestoppt werden.
Da sich der russische Staatshaushalt zu 60 Prozent aus Rohstoffexporten finanziert, würde damit die Finanzierung des Krieges deutlich erschwert werden. Als Folge würde die breite russische Wirtschaft lahm gelegt werden. Als der Iran 2012 aus Swift ausgeschlossen wurde, brach der Außenhandel ein und Kreditkarten verloren ihren Wert, was das Land in einen wirtschaftlichen Niedergang stürzte.
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al/mit dpa/AFP
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