Äpfel mit Äpfeln zu vergleichen, ist risikofrei, aber langweilig. Sobald man Äpfel mit Birnen vergleicht, wächst der Erkenntnisgewinn.
Die zwei Birnen, um die es hier geht, heißen Martin Winterkorn und Kasper Rorsted. Man könnte auch von Fallobst sprechen, denn die Karrieren des VW-Chefs und des Adidas-Vorturners endeten unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Plötzlich hat es plumps gemacht.
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Der Apfel dagegen sieht aus wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm und hängt glänzend am Baum. Nichts Illegales ist ihm vorzuwerfen.
Und doch haben – bei aller Unterschiedlichkeit der Charaktere und ihrer Lebenswege – der angeklagte VW -Chef, der gefeuerte Adidas -Mann und der Industriepräsident mehr gemein, als ihm lieb sein kann.
Legale und illegale Ausweichstrategien anstatt Problemlösungen
Alle drei Männer gehören einer Wirtschaftselite an, die in Teilen innovationsschwach ist und defensiv auf die Herausforderungen unserer Zeit reagiert. Legale und illegale Ausweichstrategien kommen zum Einsatz anstatt wirkliche Problemlösungen zu bieten. Es sind typische Abstiegsphänomene, die wir hier zu besichtigen haben:
Der Fall Winterkorn: Der VW-Konzern spürte unter seiner Führung zum ersten Mal, dass die Verbrennertechnologie den politischen Rückhalt verliert und die VW-Motoren in den USA die strengen Abgasvorschriften bereits nicht mehr erfüllen konnten.
Berüchtigte Thermofenster
Winterkorn setzte nicht auf die zügige Elektrifizierung seiner Flotte, sondern man entwickelte bei VW eine illegale Abschaltvorrichtung, das sogenannte Thermofenster, das nur auf dem Prüfstand die gesetzlich vorgeschriebene Abgasreinigung einhielt, um diese im Alltagsbetrieb dann auszuschalten.
In elf Millionen VW-Fahrzeugen wurde diese illegale Vorrichtung eingebaut, bevor Winterkorn schließlich aufflog. Eine große Karriere endete im Sturzflug.
Adidas erlebt Debakel mit Kanye West
Der Fall Rorsted: Als begnadeter Kostensenker („Numbers don’t lie“) hatte er dem Sportartikelhersteller Adidas hohe Profite beschert, allerdings bei minimaler Innovation. Die Marke Adidas verblühte still vor sich hin. Vor allem bei jungen, urbanen Zielgruppen verlor sie ihre Strahlkraft.
So verfiel der Vorstand 2013 auf die scheinbar glorreiche Idee, den Rapper, Hip-Hopper und Modedesigner Kanye West zu verpflichten, um die jungen Zielgruppen an Adidas zu binden. Der Mann – damals verheiratet mit Kim Kardashian – hat über 60 Millionen Tonträger verkauft und wird in den Rankings von Forbes und Bloomberg als Milliardär geführt.
Der Plan ging auf. Die lässige Mode von Kanye West funktionierte bei Adidas und setzte zeitweise bis zu einer Milliarde Dollar pro Jahr um. Dass West ein bekennender Antisemit und Hitler-Fan ist („I like Hitler. This guy invented highways.“), dass er Verschwörungstheorien verbreitet, wonach die US-Regierung die Droge Crack erfunden habe, um die Schwarzen zu unterdrücken, all das wusste Rorsted. Der ehemalige US-Präsident George W. Bush hatte die Aussagen von West schon früh als ein „all time low“ in der Debattenkultur bezeichnet.
Nach einer Reihe von antisemitischen Ausfällen sperrten zunächst Instagram und dann Twitter seine Accounts. JPMorgan Chase kündigte sein Konto. Adidas blieb ihm auch dann noch treu, als die eigene Frau ihren abgedrehten Ehemann verließ.
Kanye West verhöhnte Rorsted, indem er sich rühmte, antisemitische Dinge sagen zu können, ohne dass Adidas ihn fallenlassen könne. Kasper Rorsted glaubte bis zum bitteren Ende, fehlende Innovation durch Provokation ersetzen zu können. Der Sturz von Kanye West wurde so zum Vorboten seines eigenen Falles.
Russwurm hofft auf Staatshilfen
Womit wir bei Siegfried Russwurm sind: Wieder taucht hier ein Mann der industriellen Elite auf, der die mittlerweile chronische Innovationsschwäche nicht an der Wurzel bekämpfen, sondern durch einen tiefen Griff in die Staatskasse betäuben will. Der BDI-Präsident fordert vom Staat, den Strompreis für die Industrie „dringend verlässlich und dauerhaft auf ein wettbewerbsfähiges Niveau“ zu senken. Die Milliardensubvention, die er einwirbt, ist nicht illegal, nur ökonomisch ineffektiv. Sein Thermofenster heißt Industriestrompreis.
Russwurm will, dass Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher den Industriekonzernen das Grundnahrungsmittel Strom subventionieren. Über mindestens eine halbe Dekade – am liebsten dauerhaft – will man vom Staat garantierte Dauertiefpreise. Die Rede ist von einem zweistelligen Milliardenbetrag über fünf Jahre. Man könnte meinen, Russwurm wurde in der DDR-Planwirtschaft sozialisiert.
Doch der Mann spricht ja nicht für sich selbst: Teile der Industrie empfinden den Transformationsprozess von fossilen hin zu erneuerbaren Energien nicht als Chance, sondern als Zumutung. Sie verlangen nach Schmerzlinderung. Nicht Provokation, sondern Subvention soll Innovation ersetzen. Das alte, fossil betriebene Geschäftsmodell hofft man auf Staatskosten zu verlängern.
Warum das wichtig ist?
Weil diese drei Ausweichstrategien, die Flucht ins Illegale, ins Unanständige, aber eben auch das schamlose Anzapfen fremder Gelder, die Gedankenwelt einer Abstiegselite illustrieren.
Hier ist eine Kultur der Kapitulation zu besichtigen, die weit über die genannten Einzelfälle hinausreicht. Wir erleben, wie eine hoch bezahlte Führungsschicht sich in eigener Sache dem Leistungsprinzip verweigert und ihre schwindende Innovationskraft zu verheimlichen versucht. Im Falle des Industriestrompreises sollen Risiko und Verantwortung entkoppelt werden.
Die letzten großen Sprunginnovationen – die Mikrowelle, das Fließband, das Internet, das Smartphone, der Mikrochip und das Elektrofahrzeug – stammen aus den USA. Die letzten deutschen Sprunginnovationen verdanken wir dem Buchdruck-Erfinder Johannes Gutenberg (1450), dem Erfinder des Automobils Carl Benz (vor 138 Jahren), dem Entdecker des Dynamos Werner von Siemens (1847) und Wilhelm Conrad Röntgen mit der Röntgenstrahlung (1895). Heute wird in Deutschland – mit der einen großen Ausnahme der Impfstoff-Erfinder von Biontech – vor allem rationalisiert und optimiert.
Das niedrige Potenzialwachstum, die geringe Attraktivität für ausländische Investoren, die permanente Schrumpfung des DAX gegenüber Dow Jones und NASDAQ, all das sind Symptome einer Nation, die sich im relativen Abstieg befindet. Deutschland verliert gegenüber China und Amerika sehenden Auges an Boden – und dafür ist nicht zuerst Olaf Scholz verantwortlich.
Fazit : Die deutsche Industrie, die mit ihrem Ruf nach neuer Staatshilfe mittlerweile auch Kanzler und Finanzminister gehörig auf die Nerven geht, sollte trotz aller objektiven Widrigkeiten nicht die Selbstachtung verlieren.
- Eine funktionierende Republik braucht Republikaner.
- Eine funktionierende Marktwirtschaft braucht Marktwirtschaftler.
- Und der Industriestandort Deutschland wird mit Ideen verteidigt, nicht mit Subventionen.
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Der Industrie fehlt es hierzulande nicht an Geld, sondern an Selbstreflexion. Sie braucht keine Staatsknete, sie braucht eine Kraftanstrengung. Die deutsche Wirtschaft kann mehr. Oder um es mit dem Schriftsteller und Dramatiker Franz Grillparzer zu sagen: „Gebeugt erst zeigt der Boden seine Kraft.“
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