Ein auffälliges braunes Haus aus Lehm wächst im Bernauer Ortsteil Birkholzaue und zieht immer wieder Schaulustige an. Die Wände sind sichtbar dick und mit Stroh gedämmt, die grünen Fensterrahmen aus Holz. Das Dach ist mit Biberschwänzen gedeckt, der Haussockel mit gebrannten Tonsteinen verkleidet. Im offenen Winkel fügt sich das eigenwillige Gebäude perfekt in das Eck-Grundstück mit den hohen alten Bäumen ein, als würde es schon seit langer Zeit dort stehen.
Doch erst 2020 hatten Kristina Gummlich und Christian Bott damit begonnen, ihr Traumhaus aus Lehm im Berliner Speckgürtel zu errichten. Noch immer ist es nicht fertig. Gerade werden die Decken im Inneren verputzt. „Vieles ist echte Handarbeit, aufwendiger, als so ein Fertigteilhaus. Und der verarbeitete Lehm muss trocknen – auch das braucht Zeit“, erklärt der 40-Jährige Bott, der das Projekt mit einem selbstgebastelten Weihnachtsgeschenk vergleicht. Einziehen können die beiden mit ihrem sechsjährigen Sohn in den 120 Quadratmeter-Traum wohl erst im nächsten Jahr. Doch das stört die Wahl-Brandenburger nicht, die vorübergehend in der Gartenlaube wohnen.
„Das wollten wir auch – ein Haus möglichst ohne Industrieware“
„Wir wollten unbedingt und ausschließlich ökologisch bauen, also mit natürlichen Materialien, die frei von giftigen Bestandteilen sind“, erinnert sich der gebürtige Mainzer Bott. Was er und seine Partnerin an Komplettangeboten im Internet dazu fanden, erfüllte die Ansprüche nicht. Die aus Erfurt stammende Gummlich hatte Lehm als Baustoff während ihres – später abgebrochenen – Architekturstudiums kennengelernt. „Er ist so vielseitig verwendbar – je nachdem, was Du für Zuschlagstoffe hineinmischst“, erzählt die heutige Sonderpädagogin. Sie und ihr Lebensgefährte beteiligten sich an einer sogenannten Mitmachbaustelle, bei der mit Lehm gebaut wurde, und waren begeistert. „Das wollten wir auch – ein Haus möglichst ohne Industrieware, in dem lediglich Elektrokabel und Wasserrohre nicht aus natürlichen Materialien bestehen.“
Bauen mit Lehm liege im Trend. Aktuell gebe es viele Anfragen von Interessierten – vor allem bei der Sanierung von alten Häusern, sagt Stephan Jörchel vom deutschen Dachverband Lehm. Vorreiter und Zugpferd sei das boomende Bauen mit dem natürlichen Baustoff Holz. „Vor der Industrialisierung wurde mit Holz und Lehm gebaut, die klassischen Fachwerkhäuser finden sich auch heute noch überall in deutschen Innenstädten, die nicht im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden.“ Deutschlandweit gebe es rund zwei Millionen Lehmhäuser, schätzt Jörchel. Der Neubau führe jedoch noch ein Nischendasein, sagt er. Der Dachverband Lehm schätzt den Marktanteil im Häuserbau demnach auf nur 0,5 Prozent.
„Ich kann mich vor Aufträgen kaum retten“
Diese Einschätzung kann Reinhold Otto Rogge so nicht teilen. Der Bauunternehmer führt einen von rund 400 Lehmbau-zertifizierten Handwerksbetrieben. „Die Nachfrage ist extrem gestiegen in letzter Zeit, ich kann mich vor Aufträgen kaum retten“, sagt der Chef der Arcana-Baugesellschaft aus Trebbin. Vor 20 Jahren kam er auf den Lehm. „Ich wollte mit gesunden Baustoffen arbeiten. Die physikalischen Eigenschaften von Lehm überzeugten mich – es entsteht kein Schimmel, er dünstet keine Gifte aus, ist gleichzeitig wärmedämmend und wärmespeichernd und kostengünstig“, erläutert der Lehm-Pionier, der auch den Hausbau in Birkholzaue fachlich betreut.
„Unser Haus riecht nach Natur, nicht nach Zement oder Silikon“, freut sich Gummlich, die im künftigen Wohnzimmer steht. Der Boden aus Stampflehm bekommt noch Holzbohlen. Deutlich zu sehen ist das hölzerne Fachwerk, gestellt von zwei Zimmerern. Es wird nun mit Lehm ausgefacht und mit Lehmputz verkleidet. „Wir haben viel selbst gemacht, aber auch schon mehrere Mitmachbaustellen veranstaltet“, erzählt die 43-jährige Hausherrin und zeigt auf einen Balken im Obergeschoss, in dem mit dem Lötkolben Namen eingebrannt stehen. „Mehr als 100 Leute haben hier zeitweilig mitgearbeitet. Wir haben tolle Menschen kennengelernt und neue Freunde gefunden“, sagt sie. Die letzte Mitmachbaustelle veranstalten die Birkholzauer gemeinsam mit Baumeister Rogge vom 30. Mai bis zum 7. Juni dieses Jahres – nachzulesen auf der Arcana-Webseite.
Bauen mit Lehm wird immer beliebter
Glücklich sind Gummlich und Bott, dass sie die meisten Baumaterialien in der Region fanden: So stammen die Holzbalken von Bäumen, die im Sturm umgefallen waren, das Stroh von einem Bauern aus der Nähe. „30 bis 40 Kubikmeter Lehm haben wir inzwischen verbaut, der stammt aus der Nachbarschaft, wo jemand eine Baugrube ausgehoben hat“, erzählt Ingenieur Bott. Viele Nachbarn haben sich schon im Lehmhaus umgeschaut, sind gerade angesichts der aktuellen Energiekrise beeindruckt von Wärmedämmung und Raumklima. „Die meisten sagen: Hätte ich diese Möglichkeit des Bauens gekannt, würde ich das auch so machen.“
Auch Lehmbau-Experte Rogge bekommt Ähnliches immer wieder zu hören. In Niederfinow hat er einen denkmalgeschützten Gebäudekomplex gekauft, um dort ein Bildungszentrum für konsequentes ökologisches Bauen einzurichten. „Ich möchte Leute schulen, in einer Werkstatt praktisch anleiten und im Labor forschen“, skizziert er sein Vorhaben, für das die Planung fertig ist. Im Vordergrund ökologischen Bauens habe lange Zeit der Gesundheitsaspekt gestanden, sagt Rogge. „Jetzt geht es in erster Linie um möglichst geringen Energieverbrauch.“
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