Die deutsche Wirtschaft ist doch in die Rezession gerutscht – wenn auch nur leicht. Im ersten Quartal 2023 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent, nach einem Minus von 0,5 Prozent im Schlussquartal 2022.
Zum Vergleich: Während der Corona-Pandemie verlor Deutschland in einem Quartal satte 9,5 Prozent an Wirtschaftsleistung. Allerdings zog die Konjunktur danach ebenso schnell wieder massiv an. Mit einer solch sprunghaften Erholung ist derzeit nicht zu rechnen, wie der Ökonom Marcel Fratzscher im Interview mit dem Finanzmagazin „Capital“ erklärt.
„Zunächst fand die Rezession im Winterhalbjahr statt, im laufenden Quartal rechnen wir schon wieder mit positiven Zahlen. Aber insgesamt wird die Wirtschaft eher auf Vorjahresniveau bleiben und sich auch im kommenden Jahr nicht sichtbar erholen“, so der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Inflation für mancher Bürger „zwei- bis dreimal höher“
Ein Faktor dabei sei der niedrige private Konsum, sagt Fratzscher. „Die Reallöhne gehen deutlich zurück. Menschen mit geringen Einkommen sind davon besonders hart getroffen, weil die Inflation deutlich über den Lohnerhöhungen liegt. Die EZB wird die Zinsen wohl noch einmal erhöhen, was auch die Investitionen und die Löhne schwächt.“
Von der Inflation, die zuletzt bei 7,2 Prozent pro Jahr lag, seien nicht alle Haushalte gleich stark betroffen. Bei Menschen mit geringen bis mittleren Einkommen sei die individuelle Inflation aber noch „zwei- bis dreimal höher“, sagt der Volkswirt.
Zwar gebe es auch positive Entwicklungen, wie etwa die Konjunkturerholung auf globaler Ebene, von der „offene Volkswirtschaften wie die deutsche besonders stark profitieren“. Jedoch gilt das vor allem für exportierende Unternehmen, nicht für die Dienstleistung. „Wichtig ist, dass wir erst einmal in der Schwächephase bleiben werden und noch viel passieren kann, das die Wirtschaft erneut in eine Rezession treibt“, erklärt Fratzscher gegenüber „Capital“.
„Eine Eskalation des Kriegs in der Ukraine ist sicherlich das größte Risiko“, fügt der Ökonom an. Darüber hinaus seien noch nicht alle Schwierigkeiten bei den Lieferketten endgültig behoben. Auch geopolitische Konflikte, etwa zwischen China und den USA, könnten sich verschärfen.
„Normalerweise folgt ein deutlicher Aufholprozess, aber davon gehen wir nicht aus“
Für das übrig Jahr ist der Ökonom daher wenig optimistisch. „Wir rechnen mit Wachstum um die null Prozent. Es könnte auch leicht positiv oder negativ sein, aber das wissen wir nicht. Normalerweise folgt auf eine Rezession ein recht deutlicher Aufholprozess, aber genau davon gehen wir nicht aus“, sagt Fratzscher. Damit deckt sich der Ausblick des Ökonomen mit anderen Prognosen, die ein blutleeres Wirtschaftsjahr für Deutschland voraussagen. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) etwa rechnet für das Gesamtjahr mit einem minimalen Rückgang des BIP um 0,1 Prozent.
Fratzscher erwartet darüber hinaus, dass es länger so bleiben könnte: „Gesamtwirtschaftlich reden wir eher von einer Stagnation auf absehbare Zeit. Menschen mit geringen Einkommen könnten vier oder fünf Jahre brauchen, bis die Kaufkraft ihrer Löhne wieder Vorkrisenniveau erreicht.“
Der Ökonom plädiert daher für eine Reihe von Maßnahmen, um die Konjunktur anzukurbeln, wie etwa „massive Investitionen, die vor allem die ökologische und digitale Transformation schneller voranbringen.“ Dazu könne die Politik bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen schaffen, und gezielter Menschen mit geringem Einkommen entlasten. „Das müsste für die Bundesregierung oberste Priorität haben“, bekräftigt Fratzscher.
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