Es bewegt sich etwas beim deutschen Wohnungsbau – aber immer noch viel zu wenig. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, wurden im vergangenen Jahr 295.300 Wohnungen gebaut. Das waren zwar 0,6 Prozent oder 1900 Einheiten mehr als im Vorjahr. Eigentlich sollten es über 100.000 Wohnungen mehr sein.
Denn die Bundesregierung will mehr Wohnraum. Pro Jahr sollen 400.000 neue Wohnungen entstehen, so das erklärte Ziel. Wohnraum ist in Deutschland Mangelware, zumindest dort, wo er gesucht wird. Während ländliche Gegenden gegen den Einwohnerschwund ankämpfen, platzen die Ballungsräume aus allen Nähten.
„Was wir nicht vergessen dürfen: Wir brauchen diese Wohnungen wirklich. Wir haben in den großen sieben Städten in Deutschland einen Leerstand von weniger als 0,2 Prozent“, erklärt Jens Rautenberg gegenüber FOCUS online. Rautenberg ist Geschäftsführer der Conversio Gruppe, die Wohnimmobilien als Kapitalanlage bewerten, und schätzt, dass in den Jahren 2024/2025 über eine Million Menschen keinen Wohnraum finden werden.
Die minimal bessere Bilanz für 2022 hilft demnach wenig. 2021 gab es gar einen Rückgang auf 293.400 Wohnungen. Im ersten Pandemie-Jahr 2020 wiederum wurden mit 306.400 Wohnungen über 10.000 Einheiten mehr gebaut. In der Bilanz sind sowohl Neubauten als auch Umbaumaßnahmen in Bestandsimmobilien enthalten.
Wohnungsbauzahlen sind „kein Grund zum Jubeln“
In den einzelnen Kategorien gab es 2022 unterschiedliche Trends. Während auf Einfamilienhäuser 77.100 Wohnungen und damit 1,5 Prozent weniger als im Vorjahr entfielen, stieg die Zahl neuer Wohneinheiten in Zweifamilienhäuser um 14,1 Prozent auf 23.000. In Mehrfamilienhäusern entstanden 150.200 Wohnungen und damit immerhin 1,5 Prozent mehr als 2021. Dagegen fiel die Zahl fertiggestellter Wohnungen in Wohnheimen um 14,5 Prozent auf nur noch 8600.
Immerhin: Der befürchtete Einbruch beim Wohnungsbau bewahrheitete sich damit vorerst nicht. Dennoch seien die Zahlen trotz des leichten Anstiegs „kein Grund zum Jubeln“, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.
Das abermalige Verfehlen des Bauziels sei laut Dullien sogar „umso tragischer, als dass die Zahl der fertiggestellten Wohnungen in den kommenden Jahren abnehmen dürfte – vor allem aufgrund der zuletzt massiv gestiegenen Zinsen“.
Bauüberhang schwillt weiter an
Auch andere Indikatoren der Behördenstatistiker geben kaum Grund für Optimismus. So ist auch der sogenannte Bauüberhang weiter angestiegen. Zwar fiel die Zahl der Baugenehmigungen um 7,0 Prozent auf 354.200, da diese Zahl die Fertigstellungen aber übersteigt, wächst der Überhang. Dadurch lag die Zahl genehmigter, aber nicht fertiggestellter Wohnungen zum Jahresende 2022 bei 884.800 – 38.400 mehr als noch 2021.
„Der seit dem Jahr 2008 anhaltende Anstieg des Bauüberhangs setzte sich damit im Jahr 2022 etwas abgeschwächt fort. 2021 lag der Zuwachs bei 67.000 Wohnungen“, kommentierten die Statistiker. Den bislang höchsten Überhang gab es 1995: Damals gab es 928.500 genehmigte, aber nicht fertiggestellte Wohnungen.
Hinter dem wachsenden Überhang stecken einerseits weiterhin gestörte Lieferketten, andererseits auch fehlende Fachkräfte und Material, wobei hier heftige Preissteigerungen zusätzlich belasten. So verteuerten sich einzelne Baustoffe, wie beispielsweise Stabstahl, im Jahresdurchschnitt um 40,4 Prozent. Zudem verlängerten sich zuletzt Bauprojekte. Im Schnitt stieg die Dauer von der Genehmigung bis zur Fertigstellung seit dem Beginn der Pandemie 2020 bis 2022 um zwei Monate, von 20 auf 22 Monate.
Gewerkschaft fordert milliardenschweres Staatsprogramm
Besserung sei angesichts der immensen Menge an bereits genehmigten Wohnungen nicht in Sicht, erklärte IMK-Ökonom Dullien. Die Zahl der Genehmigungen brach im März um 30 Prozent ein, außerdem bestehe immer die Gefahr, dass Projekte gestrichen und Aufträge storniert werden oder die Genehmigung verfalle. Tatsächlich erloschen dem Statistischen Bundesamt zufolge im vergangenen Jahr 22.800 Genehmigungen, die in der Regel für mehrere Jahre gültig sind – so viele wie seit 2006 nicht mehr.
Damit steuert Deutschland weiterhin auf ein Wohnraumdebakel zu. Der Bauindustrieverband HDB schätzt, dass im laufenden Jahr wohl nur noch 250.000 Wohnungen fertiggestellt werden, und es 2024 kaum besser werde. Die durch die Leitzinsanhebungen der EZB deutlich teureren Finanzierungen für Wohneigenheim tun dabei ihr übriges.
Die Rufe nach mehr staatlicher Unterstützung werden lauter. Bauministerin Geywitz kündigte daher für den Juni neue Maßnahmen an. So sollen Familien mit einem Einkommen von bis zu 60.000 Euro zinsvergünstige KfW-Kredite bekommen. Ökonomen und Gewerkschaften fordern indes deutlich mehr.
So verlangt die IG Bau, dass Berlin bis 2025 den Wohnungsbau mit 72 Milliarden Euro unterstützt. Der Großteil dieser Gelder – 50 Milliarden Euro – soll dabei als Sondervermögen in den Sozialwohnungsbau fließen. Denn: „Nur dann kann es noch klappen, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen.“
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