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Angestellte, die einmal Resturlaub verfallen lassen mussten, dürfen hoffen, ihre freien Tage bald doch noch nehmen zu dürfen oder ausbezahlt zu bekommen: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt verkündet am Dienstag, 20. Dezember, sein Urteil zu drei Klagen wegen verjährter Urlaubsansprüche. Schon jetzt steht fest, dass es damit die bestehende Verjährungspraxis zumindest teils aushebelt. Womöglich werden jahrzehntealte Ansprüche wieder aktuell, selbst gegen ehemalige Arbeitgeber.

FOCUS online beantwortet alle wichtigen Fragen zum anstehenden Urteil.

Was wird das BAG-Urteil beim Resturlaub ändern?

Wichtigste Folge des BAG-Urteils dürfte sein, dass Resturlaub nur noch verjährt, wenn Arbeitergeber Angestellte vorher baten, diesen Urlaub zu nehmen, ihnen die Möglichkeit dazu einräumten und sie auf die drohende Verjährung ihres Urlaubsanspruchs hinwiesen. Haben sie diese Anforderungen nicht erfüllt, verjährt Resturlaub nie.

Bislang verlangt das Bundesurlaubsgesetz, Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen. Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres ist nur erlaubt, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Endgültig verjährt der Urlaub 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres.

Hebt das BAG die 15-Monats-Frist in vielen Fällen auf, könnten Angestellte Resturlaub noch Jahrzehnte später beanspruchen oder seine Auszahlung fordern.

Wieso wird die Resturlaubs-Regel geändert?

Die Änderung erfolgt im Zuge einer Anpassung deutschen Rechts an die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der EuGH will bei Urlaubsfragen die Arbeitnehmerrechte stärken, weshalb das BAG bei den angesprochenen Klagen zunächst den EuGH um eine Vorabentscheidung bat. Dieser betonte, Urlaub verfalle nur unter bestimmten Bedingungen, das BAG erkannte dies an. Unter Experten gilt daher als sicher, dass das Arbeitsgericht am 20. Dezember nach den EU-Vorgaben urteilt.

Angestellte befänden sich gegenüber Arbeitgebern ohnehin in der schwächeren Position, begründet der EuGH seine Sicht. Arbeitgeber dürften daher nicht belohnt werden, wenn sie ihre Informationspflichten verletzen oder Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzen, ihren Urlaub tatsächlich zu nehmen.

Was bringt mir das Urteil finanziell?

Wie viel Geld die Änderung in die Taschen von Angestellten spülen könnte, zeigt das Beispiel einer der Klagen, wegen derer das BAG den EuGH anrief. Laut einer Pressemeldung des Arbeitsgerichts hatte die Klägerin von November 1996 bis Juli 2017 als Steuerfachangestellte gearbeitet und dabei 101 Resturlaubstage angehäuft. Nach den Vorgaben des EuGHs bekommt sie dadurch wohl nachträglich rund ein halbes Jahresgehalt ausgezahlt.

Wie viel jeder Angestellter selbst erhält, lässt sich errechnen: Der Wert eines Urlaubstages richtet sich nach dem Tagesverdienst. Wer 3000 Euro monatlich verdient (36.000 Euro im Jahr) und Vollzeit arbeitet (rund 200 Tage im Jahr), verdient am Tag rund 180 Euro. Kann er sich von seinem alten Arbeitgeber noch zehn Urlaubstage auszahlen lassen, erhält er also rund 1800 Euro brutto. Bei 100 Urlaubstagen wären es rund 18.000 Euro, also rund ein halbes Jahresgehalt.

Wie beweise ich, dass mich mein Arbeitgeber nicht auf die Verjährung meines Urlaubs hingewiesen hat?

Das ist die spannende Frage, die das BAG mit seinem Urteil am 20. Dezember klären muss.

Die Steuerfachangestellte, die wahrscheinlich 101 Urlaubstage ausgezahlt bekommt, hatte vorgesorgt: Laut BAG hatte sie sich von ihrem Arbeitgeber schriftlich bescheinigen lassen, wegen des hohen Arbeitsaufwandes Resturlaub angesammelt zu haben, der nicht verfallen sollte. Damit kann die Angestellte das Urlaubsammeln zweifelsfrei nachweisen.

Den meisten Angestellten dürften derart eindeutige Nachweise fehlen. Entscheidend für die Auswirkungen des Urteils wird daher die Festlegung, wer nachweisen muss, ob der Arbeitgeber den Mitarbeiter bat, seinen Urlaub zu nehmen, und ihn auf die drohende Verjährung hinwies.

Noch scheint offen, wie das Gericht in dieser Frage entscheidet. Typischerweise liegt die Beweislast bei ähnlichen Szenarien jedoch beim Arbeitgeber.

Gilt der Anspruch auch rückwirkend und gegen ehemalige Arbeitgeber?

Auch wenn Resturlaub künftig nicht mehr verjährt, ist noch unklar, ob diese Regel auch für allen Resturlaub der Vergangenheit gilt. Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott meint, Angestellte könnten bald auch weit zurückliegende Urlaubsansprüche einfordern. Gegenüber „Bild“ sagte er, nach dem Urteil „können Arbeitnehmer Urlaubsansprüche der letzten Jahrzehnte geltend machen – auch gegen den Ex-Arbeitgeber.“

Eine entscheidende Rolle dürfte allerdings das Jahr 2018 spielen: In diesem legte sich der EuGH erstmals auf die Rechtsprechung fest, die die jetzige Debatte anstieß. Nach diesem Stichtag verfallene Urlaubstage dürften Angestellte leichter einfordern können als davor verfallene.

Möglich scheint etwa, dass Arbeitgeber erst ab 2018 nachweisen müssen, Angestellte auf das Verfallen ihrer Urlaubstage hingewiesen zu haben. „Nur wer den Nachweis als Unternehmen seit dem Jahr 2018 erbringen kann, kann sich auf die Verjährung berufen“, urteilt etwa das juristische Fachportal Legal Tribune Online (LTO).

Droht jetzt eine Klagewelle gegen Unternehmen?

Ob bald eine Klagewelle auf Urlaubsabgeltung Deutschland überrollt, hängt laut LTO davon ab, bei wem das BAG die Beweispflicht für die Information des Arbeitsgebers zur Urlaubsverjährung verortet.

  • Schreibt es die Beweispflicht dem Arbeitgeber zu, könnten tatsächlich viele Angestellte juristisch Urlaub nachfordern.
  • Schreibt es sie den Angestellten zu, dürften die meisten kaum beweisen können, nie vom Arbeitgeber auf die Verjährung hingewiesen worden zu sein.

Da wahrscheinlich die Beweislast dem Arbeitgeber zufällt und Angestellte wohl auch jahrzehntealte Ansprüche geltend machen können, dürften sich Arbeitgeber mit Anforderungen seit langem aus dem Unternehmen ausgeschiedener Mitarbeiter einstellen. In diesen Fällen dürften sie die Beweislast oft nur schwer erbringen können. Eine Klagewelle von Angestellten, die dies ausnutzen wollen, scheinen nicht unwahrscheinlich.

Interessant sein wird laut LTO auch, ob Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen Abgeltungsanforderungen begrenzen. Verlieren durch das Urteil die Regeln gegen Urlaubsabgeltung ihre Geltung, könnten womöglich auch andere Abgeltungsausschlüsse hinfällig werden. Denkbar scheint, dass auch Überstunden nicht mehr oder nur unter bestimmten Bedingungen verjähren. Derartige Details dürften die Gerichte einige Zeit beschäftigen.

Welche Sonderregelungen gelten?

Erkranken Angestellte langfristig, erlischt Urlaub künftig 15 Monate nach Ablauf des Jahres statt wie bislang nach drei Jahren: Laut EuGH müsse man anerkennen, welche Schwierigkeiten sich für den Arbeitgeber ergäben, wenn Angestellte lange Zeit am Stück fehlen und Urlaubsansprüche ansammeln. Daher sei es grundsätzlich richtig, dass bei Krankheit die Urlaubsansprüche nur 15 Monate übertragen werden können und danach verfielen. Dies gilt aber nicht für Ansprüche aus dem Zeitraum vor oder nach der Krankheit, in dem der Angestellte tatsächlich gearbeitet hat.

Einer der drei Klagenden dürfte daher vor dem BAG scheitern: Er fordert Urlaubsansprüche ein, die er wegen längerer Erkrankungen nicht nahm. Angestellte müssen in dem Jahr, aus dem sie Urlaub übrig haben, gearbeitet haben.

Kann das BAG anders urteilen?

Theoretisch könnte das BAG in seinem Urteil auch feststellen, dass die Vorgaben nicht ins deutsche Recht übernommen werden können. Dann bliebe bei den Urlaubsregeln alles beim Alten, die EU könnte aber ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Experten wie die LTO halten dieses Ergebnis allerdings für unwahrscheinlich. Die Vorgaben ließen sich durchaus in das deutsche Recht einbauen.

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